Nach unserer Ankunft in Hamina am 05. April 2023 haben wir wunderschöne Tage mit strahlendem Sonnenschein, die wir nutzen, um die Umgebung etwas zu erkunden.
Mit Besuch aus Deutschland habe ich einen Ausflug nach Lappeenranta gemacht. Festung, Hafen und Innenstadt kannte ich bereits von meinem letzten Besuch. Zu dem Zeitpunkt lagerten riesige Sandberge in Hafennähe. Mittlerweile hatten sich die Sandberge wie jedes Jahr in eine riesige Sandburg verwandelt, die dieses Mal unter dem Motto „Gespensterschloss“ stand.
Nach Besichtigung von Hafen, Festung und Sandburg haben wir die Gelegenheit für eine Schiffstour genutzt: Von Lappeenranta fuhr das Schiff zum Saimaa-Kanal mit einer 13 Meter hohen Schleuse und anschliessend noch etwas durchs Archipelago, bevor es zurück in den Hafen nach Lappeenranta ging.
Baumstämme werden in Finnland auch über den Wasserweg als eine Art grosses Floss transportiert:
Die 13 Meter hohe Mälkiä-Schleuse:
Durch das Archipelago ging es zurück nach Lappeenranta.
Am 03.06.2025 um kurz nach halb zwei breche ich auf Richtung Martinselkonen Wildmarkzentrum. Ich habe für heute eins der Fotoverstecke zur Bärenbeobachtung reserviert und soll bis 15 Uhr am Zentrum sein. Gut 10 km vor meinem Ziel biege ich von der Landstrasse in eine Schotterpiste ein, die sich auf und ab durch den Wald schlängelt. Hin und wieder steht ein Haus an der Seite, aber die meiste Zeit befindet sich rechts und links der Strasse nichts ausser Wald. Ich fahre weiter und weiter und weiter und werde etwas nervös, da ich eigentlich langsam am Zentrum ankommen sollte. Ich versuche, bei Google Maps meine Position und die des Zentrums zu bestimmen, was an mangelndem Netz scheitert. Also erstmal weiter. Als ich bereits davon ausgehe, falsch zu sein und versuchen will, im Zentrum anzurufen, sehe ich zwischen den Bäumen ein grösseres, weisses Gebäude – geschafft, ich bin da!
Auf dem Parkplatz stehen ein paar einzelne Autos und eine Gruppe mit vier Finnen scheint auch gerade angekommen zu sein. Ich suche mir erstmal den Weg ins Gebäude, wo ich direkt auf Riina treffe, mit der ich per e-mail für die Anmeldung in Kontakt war. Ob ich in das Versteck im Wald wolle, das ich gebucht hatte, oder doch lieber in den Sumpf möchte – im Wald sei ich diese Nacht ganz alleine, während im Sumpf noch zwei andere Leute in weiteren Verstecken seien. Da die Chancen, Bären zu sehen, in beiden Gebieten gleich gut seien, entscheide ich mich für den Sumpf.
Ich habe noch etwas Zeit, bis es losgeht, und schaue mir ein paar der ausgelegten Bildbände mit wunderschöner Naturfotografie an. Der Guide für unseren Ausflug kommt kurz darauf, um mir noch ein paar Informationen über den Ablauf der Bärenbeobachtung zu geben. „It’s up to you how close you let the bears get to your hide but don’t allow them to touch it“, informiert er mich. Ähem… Und wie erkläre ich das einem ausgewachsenen Braunbären? Meist würde es reichen, in die Hände zu klatschen oder etwas Lärm zu machen. Das „meist“ in dem Satz beruhigt mich nicht gerade und ich bin froh, mich für den Sumpf inkl. Gesellschaft in benachbarten Hides entschieden zu haben. Meine Nachbarn für die kommende Nacht lerne ich auch direkt kennen, zwei Norweger, die bereits vergangene Nacht in einem Versteck im Wald verbracht haben und einige Bären gesehen haben.
Ich lerne noch, dass ein grosser Bär die kleinen Fotografie-Hides umwerfen kann und sie ausserdem durch die unteren Öffnungen hineingreifen könnten (das genau dies bereits passiert ist und einem anderen Besucher ein Beutel mit getrockneten Bohnen im Schlaf direkt neben dem Kopf weggeklaut wurde, erfahre ich zum Glück erst am nächsten Tag). Ich höre auch noch, dass ein anderer Besucher vergangene Nacht vier Mal ordentlich Lärm machen musste, bis er einen etwas aufdringlichen Bären, der immer wieder zu nah kam, erfolgreich verscheucht hatte.
Um kurz vor vier sammeln wir uns alle vor dem Gebäude zur Abfahrt. Wir fahren in drei Autos – eine Gruppe mit acht Finnen in einem kleinen Bus, zwei Deutsche in einem Geländewagen und die beiden Norweger und ich in einem weiteren Geländewagen. Nachdem wir ein Stück durch den Wald gefahren sind, steigen wir alle aus – den Rest der Strecke müssen wir zu Fuss zurücklegen. Zunächst geht es durch Wald, dann durch ein offenes, sumpfiges Gebiet, in dem teils etwas wacklige Holzbohlen ausgelegt sind, so dass wir ohne nasse Füsse zu bekommen laufen können, bevor es wieder in den Wald geht. Wir kommen im Wald an einer Stelle mit kleinen Fotografie-Hides für ein oder zwei Personen vorbei, in denen heute Nacht niemand bleiben wird (hier wäre ich alleine gewesen, hätte ich mich nicht für den Sumpf entschieden). An einer Lichtung mit zwei grösseren Gruppenhides beziehen die Finnen und die beiden Deutschen ihre Unterkunft für die kommende Nacht. Während die beiden Norweger und ich darauf warten, dass es mit unserem Guide weitergeht, sehe ich vielleicht 100 Meter von uns entfernt zwei Bären – kein Zaun, keine Hütte, keinerlei Schutz… Die Bären schauen immer wieder in unsere Richtung, während sie an den bereits ausgelegten Ködern knabbern. Es ist total irre.
Schliesslich gehen wir mit unserem Guide weiter durch den Wald Richtung Sumpf. Unterwegs sehen wir einen weiteren Bären, der auf dem Weg in den Wald ist. Im Sumpf stehen mehrere Verstecke für ein oder zwei Personen, die speziell zur Fotografie gedacht sind, nebeneinander.
Das erste Single-Hide bekommt einer der Norweger und ich beneide ihn nicht – selbst die Double-Hides sind klein, aber das Single-Hide ist noch etwas kleiner… Der zweite Norweger und ich bekommen jeweils ein Versteck für zwei Personen für uns alleine, geräumig sind diese jedoch auch nicht. Nachdem ich mich durch die kleine Tür gewunden habe, stehe ich gebückt – aufrecht stehen geht nicht – in meiner Behausung für die kommende Nacht: ein (zu kurzes) Bett, ein Plastikstuhl, ein Toiletteneimer und mehrere Fotoöffnungen im Wechsel mit kleinen Fenstern. An den Fotoöffnungen befindet sich eine Art Stoffbeutel, durch die man das Objektiv der Kamera stecken kann.
Als Erstes packe ich meine Kamera aus. Dann verstaue ich den mitgebrachten Proviant auf dem Regal direkt unterhalb der Decke (und oberhalb der Öffnungen, damit die Bären im besten Fall das Essen nicht riechen…), stelle die Thermoskanne mit heissem Wasser für Kaffee und Tee bereit. Moment, hatte unser Guide nicht gesagt, wenn ich mich schlafen lege, sollte ich die Fotoöffnungen verschliessen? Da ist aber nichts zum Verschliessen. Die Bretter, mit denen die Öffnungen verschlossen waren, als wir kamen, waren von aussen festgeschraubt und unser Guide hat sie entfernt. Zum Glück ist er noch da, weil er die Köder für die Bären ausgelegt hat. Ich rufe und frage, wie ich denn die Öffnungen schliessen kann, wenn ich schlafen will. Ich solle einfach den Stoff zusammen ziehen… Hört sich nach einem sicheren Schutz vor den Bären an! Dann lässt uns unser Guide alleine und geht zurück zu den Gruppenhides, wo er über Nacht bleiben wird. Für den Notfall steht an einer Wand meiner Hütte eine Handynummer, über die ich ihn kontaktieren kann. Sofern ich Handyempfang habe… Zumindest sind die beiden Norweger in Rufweite.
Jetzt heisst es warten und nach den Bären Ausschau halten. Erstmal passiert nicht viel. Ausser einer Menge Möwen, die in den Bäumen sitzen, immer mal wieder über den Sumpf kreisen und versuchen, etwas vom Bärenköder abzubekommen, ist nichts zu sehen. Zwischendurch taucht mehrfach ein Adler auf, der die Möwen aufmischt.
Aber kein Bär weit und breit. Ich wäre wirklich enttäuscht, wenn ich nicht ein paar Bilder machen könnte. Aber dann schaue ich durch eins meiner kleinen Fenster und bekomme einen Riesenschreck – da läuft plötzlich ein Bär vom Waldrand auf den Sumpf zu.
Danach geht es Schlag auf Schlag – immer wieder kommen neue Bären und die, die bereits da sind, flüchten oder verziehen sich etwas an die Seite.
Eine Bärin mit drei Jungen aus dem letzten Jahr ist besonders aufmerksam und schaut immer wieder nach potentiellen Gefahren. Ein Bär legt sich in Sichtweite zum Schlafen. Es ist unglaublich. Die Zeit verfliegt und bald ist es schon halb zwölf.
Richtig Dunkel wird es nicht, aber es ist leicht dämmrig. Im Sumpf kehrt Ruhe ein und alle Bären verschwinden aus meiner Sichtweite. Ich beschliesse, mich ein wenig im Schlafsack aufs Bett zu legen. Nach der ganzen Aufregung kann ich nicht schlafen, aber vom Sitzen und dadurch, dass ich nicht aufrecht stehen kann, tut mir langsam der Rücken weh, so dass das Liegen eine ganz angenehme Abwechslung ist. Irgendwann döse ich ein, schrecke aber immer wieder durch irgendwelche Geräusche hoch. Beim Blick aus dem Fenster ist häufig ist ein Bär in Sichtweite. Die Bärin mit den drei Jungen lässt sich diese Nacht häufiger blicken. Ein kleinerer Bär kommt irgendwann schnurstracks auf mein Versteck zugelaufen, als hätte er dies als Ziel. Da wird mir doch etwas anders und ich fange an, in die Hände zu klatschen. Besonders beeindruckt wirkt er nicht, aber ungefähr zwei Meter vor meiner Hütte dreht er zur Seite ab.
Nach einer unglaublichen Nacht holt uns am nächsten Morgen um 6:30 Uhr unser Guide wieder ab. Es wahr ein wahnsinning tolles Erlebnis, die Bären so nah in ihrer natürlichen Umgebung beobachten zu können! Nachdem die Hütten wieder verschlossen und die Bretter verschraubt sind, laufen wir zum Gruppenversteck, um die Anderen einzusammeln, bevor es zurück zu den Autos und danach zum Zentrum geht. Auf meine Frage, ob die Bärenbeobachtung im Sumpf oder Wald besser gewesen sei, sind die Norweger etwas unschlüssig. Die besseren Fotos hätten sie im Wald gemacht und müssten sie sich entscheiden, würden sie vermutlich wieder in den Wald gehen. Im Sumpf seien die Bären allerdings deutlich aktiver gewesen.
Ich möchte auf jeden Fall irgendwann wiederkommen und vielleicht kann ich dann ja auch noch eine Bärenbeobachtung im Wald machen! Die Organisation in Martinselkonen war in jedem Fall perfekt, der Guide supernett und hatte viel Interessantes zu erzählen, und ich habe mich dort – trotz zwischenzeitlicher Adrenalinschübe – sehr gut aufgehoben gefühlt.